Der erste Workshop dieser merkwürdigen Literatuwoche im Internet begannen wir mit AKTIVISTISCHER LITERATUR. Und um herauszufinden, wie Literatur aktivistisch sein kann, schauten wir auf die wahnsinnige Geschwindigkeit des Internets, auf Gedichte gegen Bulldozer und eine Poetik der radikalen Freundschaft.
Begonnen haben wir den Workshop mit einem gemeinsamen Listengedicht, in dem wir wild darauf losgeschrieben haben, was uns gerade aufregt. Hier die Liste in ihrer voller, wütenden Pracht (Rechtschreib- und Grammatikfehler sind egal, wenn man wütend ist btw):
DINGE, DIE EINEN AUFREGEN
eine unvollständige Liste, 01.08.2020
*(Dies ist ein Listengedicht. Es funktioniert durch die Aufzählung von Dingen. Es funktioniert durch die sich wiederholende Struktur und ihren Rhythmus. Es funktioniert durch kühle Ordnung einer Liste, mit der du poetisch spielen kannst.)
dass dem Klimawandel immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird
dass diese Literaturwoche nur auf Displays geschieht
dass die Zukunft unmöglich erscheint
dass die Welt kleiner und kleiner erscheint mit jedem Tag
dass die Hälfte meines Kühlschrankes aus Schimmel besteht
dass viele Politiker*innen scheinbar keinen Bock haben
dass sowas wie Hanau passiert
dass die NASA nur Weltraumeskapismus für Science-Nerds ist
dass Menschen den Klimawandel immer noch leugnen
dass die Löcher im Sieb so groß sind, dass der Reis hindurchfällt, wenn man ihn wäscht
dass in den wichtigen Momenten dir richtigen Worte fehlen
dass die Menschen Na(r)zistisch sind
dass aus Privileg Normalität wird
dass sich mein kopf verknotet und das Blut sich im Rücken staut
dass Religionen vorgeben, Liebe zu verbreiten und doch Hass schüren
dass Herzen sich so leicht verirren
dass ich Angst hab im Wald
dass es so viel gibt, das ich nicht greifen kann
dass ich meine Pflanzen so oft übergieße
dass wenn ich wütend werde, leute sagen, dass das süß ist. 👏
dass man sich immer und überhaupt für alles zu rechtfertigen hat.
dass ich Mäuschen genannt werde (ich bin kei nmäuschen ich bin eine tigerin) 👏👏👏
Dassmeineleertastegeradenichtfunktioniert
Dass wir die Sätz mit dass anfangen
dass alle El hotzo so super witzig finden
Ungeputzte spiegel
und der Film Termintor
und das Leute sich super witzig finden, wenn man lotti karotti statt lotti sagt oder ronja räubertochter oder WLAN ruta
oder wenn Leute zu wenig Wasser trinken
Dass wir uns viel zu oft kritisieren
und daslotti müde ist
dass wir vergessen wie man atmet wenn wir versuchen es bewusst zu tun
Dass Menschen denken, manwill Aufmerksamkeit wenn man mit psychischen Erkrankungen an die Öffentlichkeit geht, darüber spricht
Verschlusskappen auch
Wasserschäden auf meinem Notizbuch
dass ich mich nicht traue wirklich politische Themen auf diese Listen zu schreiben, die viel zu kontrovers sind
dass
dass Leute Hygienemaßnahmen und Abstandsregelungen nicht einhalten
wenn Dinge, die mir wichtig sind, nicht ernst genommen / ins Lächerliche gezogen werden
dass mir immer wieder die Worte fehlen
dass Bewertung heutzutage so eine große Rolle spielt und dadurch die Diskussion & das Ausdrücken von Prozessen (Gedankengängen) oft eingeschränkt werden
dass man eigentlich gar nicht hinter kommt, mit der ganzen wilden Gegenwart
dass der Wind meine Haar durcheinanderbringt, how dare it
dass das Internet so voller Hass und Scham ist
dass so viel verloren geht
dass so viel bleibt
dass dieser Workshop wohl recht viel Strom verbraucht
Dass Frauen sich oft mehr anstrengen müssen, um wahrgenommen & gewürdigt zu werden
dass nicht jedes Kind zur Schule gehen darf und kann
dass Menschen nicht einfach nett zueinander sein können
dass Leute sich in der Warteschlange für Alles mögliche aufregen
dass es Leute gibt, die sich übehaupt aufregen
dass man immer so viel warten muss und manchmal auch zu spät ist
dass nichts klappt, wenn man es sich m meisten wünshct
dass Zeit so schnell vergeht,
dass Zeit existiert..
dass man entweder zu viel odeer zu wenig von etwas at
dass Schuhe eigentlich nie wirklich bequem sind
dass es leider so viele Dinge gibt, über die man sich aufregen kann
dass die Algorithmen irgendwie blöd sind
dass Vorurteile existieren
Im Anschluss schauten wir auf die Gedichte von Nick Thurston (»Of the Cubcontract«) und furchtbare Arbeitsbedingungen bei Amazon. Wir schauten auf den anarchistischen, veganen Pazifisten John Kinsellas und sein Bulldozerpoem und versuchten uns daran, Gedichte gegen Bulldozer zu verfassen. Wir schauten auf Lea Schneiders »made in china« und wie Sprache Menschen, Dinge, Geschichten eine Existenz erschreiben kann, die in den gegenwärtigen Diskursen, in den herrschenden Normen und der eigenen Sprache keine haben. Literatur kann – für Schneider – ein »Loch im Papier« sein, groß genug, um hindurch zu wollen. Groß genug, um sich mehr mit den Dingen zu beschäftigen, um aktiviert zu werden, um aufmerksamer durch die Welt zu gehen.
