Kinder spielen auf einer grünen Wiese. Sie ist nicht wirklich grün. Sie ist auch nicht wirklich eine Wiese. Die Kinder wissen das. Ich weiß das. Die Kinder können es vergessen. Ich nicht.
Es sind Kinder in allen Farben des Regenbogens und auch in Farben, die ein Regenbogen niemals hervorbringen könnte. Sie haben Spaß, spielen mit kleinen Figuren, lassen Drachen in der lauen Brise steigen, haschen sich gegenseitig, klettern auf grüne Bäume, jagen Schmetterlinge.
15 Millionen passen auf dieses gottverdammte Schiff. 9 Millionen sind noch am Leben.
Die Wiese scheint ins Unendliche zu gehen, doch wie alles an ihr trügt dieser Eindruck.
Sie befindet sich im metallenen Bauch eines Kreuzfahrtschiffs und das Kreuzfahrtschiff? Wo ist es? Niemand weiß es, weil niemand nachfragt. Niemand möchte es wissen. Warum auch? Sie sind glücklich. Sie sind sicher.
Sie sind sicher, weil alles was unsicher ist, auf der Erde blieb. Wir sind in Sicherheit. In der Sicherheit eines Trojanischen Pferds. Die, die nicht sicher sind, sind außen.
Das Schiff ist wie eine Rüstung, man ist sicher, doch die Angst bleibt, dass sie rosten könnte.
Die Kinder spielen den ganzen Tag hindurch. Es gibt keine Schule in dem Sinne. Es gibt keine Bildung, wer sich bilden will, wird verlacht. Wozu bilden? Es gibt nichts zu dem man sich ausbilden könnte. Alles macht das Schiff.
Das Schiff ist wie eine Mutter. Doch für mich ist es ein Diktator. Es gibt uns Kleidung, Nahrung, Habgüter, es scheint manchmal willkürlich zu sein. Doch die Leute sind zufrieden. Sie sind satt und leben in einer perfekten Welt, die nicht existiert.
Diese Kinder sind Renovierungen. Alte Schrauben im System des Schiffs werden ausgetauscht, neue werden produziert: die Kinder.
Sie sind glücklich. Alle sind glücklich. Die Geburt ist ein Fest, der Tod ist ein Fest, denn beides ist systemrelevant. Es ist das Schiff, das die Hormondrüsen anstupst. Glückshormone werden massenweiße ausgestoßen. Nur bei mir nicht. Was würde ich geben, um mit den Kindern unbekümmert spielen zu können. Aber wie könnte ich, wo es ja doch nur Schrauben sind. Wo ich eine Schraube bin. Eine Schraube die klemmt.
Erstes Gebot.
Funktionieren. Wer nicht funktioniert wird ausgetauscht.
Glücklich sein, zweites Gebot ist glücklich sein. Eigentlich sind auch Gebote 3-5 glücklich sein.
Zufrieden sein.
Dankbar sein.
Satt sein.
Einfach umzusetzen, sollte man meinen.
Ich funktioniere schon lang nicht mehr, weiß nicht warum ich nicht ausgetauscht wurde.
Ein Kind stürzt vom Baum, bestimmt fünf Meter tief. Es rappelt sich auf, klettert hinauf und baut an dem Baumhaus weiter, das es mit seinem Freund angefangen hat.
Ein kleines türkises Kind mit dem Daumen im Mund schaut ihnen zu. Es versteht nicht. Es fragt sich. Es klemmt.
*Entstanden beim Workshop »Gegenverschwörungstheorien« am 03.08.2020 bei der Digitalen Literaturwoche. Workshopbeschreibung: Marta legt sich einen Essensvorrat für sechs Monate an. Erin schaut sich kritisch die Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel an. Toni hat Angst, dass sie bald ein Kopftuch tragen muss. Erzählungen von Verschwörungen begegnen uns überall; sie verändern Menschen um uns herum und uns selbst.
Wenn du sie auslachst, fühlt sie sich bestätigt. Wenn du argumentierst, hört sie dir nicht zu. Wenn du dich hineindenkst, läufst du Gefahr dich zu verrennen. Wie gehen wir also damit um, wenn sich Freund*innen, Elter*n oder Partner*innen verändern?
Ohne Verschwörungserzählungen selbst einen Raum zu geben, soll sich in dem Schreibworkshop mit kreativen Methoden angenähert werden, wie wir mit einer kritischen Haltung den Menschen wertschätzend begegnen.